DIE ZEIT

Mit dem Taxi in die Luft

Nicht billig, aber schnell: Nah-Luftverkehr in die Ferienorte

Heinz Stuckmann

Die Passagiere der Deutschen Lufthansa zum Flug Nummer . . . nach . . . werden gebeten . . ." Eine Stewardeß öffnet die Tür, eine begleitet die Fluggäste zur Maschine; kurz darauf ist man über den Wolken. Man greift zur Zeitung.

So feierlich wie bei den großen Fluggesellschaften ist es bei den Flugtaxis nicht. Als ich an einem nebeligen Sonnabendmorgen mit meinem Ticket „Köln— Borkum— Köln" auf dem Flughafen Wahn wartete, sagte der Pilot von der Deutschen Nah-Luft- Verkehr AG nur: „Jetzt versuche ich's. Gehen wir.

Es war 10.15 Uhr. Seit acht Uhr morgens hatten wir gewartet und bei Kaffee und Bier den Himmel betrachtet. Die DO 27 fliegt nach Sichtflug-Regeln (VFR). „Wenn wir doch nicht so auf das Wetter angewiesen wären" , seufzte der Pilot, als er zum Kontrollturm ging, um sich eine Starterlaubnis zu holen. Er bekam sie. Dann rief er noch in Münster an. Dort warteten drei weitere Passagiere. Wir starteten um 10.20 Uhr. Vierzig Minuten später landeten wir in Münster auf der Grasbahn eines Sportflugplatzes zwischen einem Getreidefeld und einem Laubwald — ohne asphaltierte Rollbahn, ohne Funkleitsprüche. Ich glaubte zuerst, ich sei auf einer Wiese.

Aus dem nahegelegenen Ausflugslokal wurden die Fluggäste herbeigeholt. Sie waren sehr fröhlich. Hier sei die Fliegerei wenigstens noch Sport, sagte einer. Um 11.30 Uhr holperte die DO 27 über die Wiese. Wir starteten wieder. Wie mir schien, sehr niedrig, doch immerhin in 500 Metern Höhe und mit 110 Knoten in der Stunde flogen wir den Emslandkanal entlang, sahen Rheine, Meppen, Papenburg und die braune Torflandschaft in Ruhe von oben. Zur Zeitung griff keiner von uns: Es gab soviel zu sehen.

Um 12.28 Uhr landeten wir auf dem Flugplatz in Borkum. Zwei Passagiere wollten hier ihr Wochenende verbringen, die beiden anderen waren nur mitgekommen, „um mal zu fliegen". Sie verabredeten sich mit dem Piloten für 17 Uhr zum Rückflug. Bis dahin wollten sie „mal etwas baden".

Die „Deutsche Nah-Luft-Verkehr-AG" ist nicht die einzige der neuen Gesellschaften, die den Nah- Luftverkehr bestreiten. Auf dem Borkumer Flugplatz standen zwei Maschinen der „Deutschen Taxiflug GmbH", Mannheim. Von den Flughäfen Düsseldorf, Essen-Mülheim, Hannover, Bremen und Hamburg flogen sie in diesem Sommer zu den Ostfriesischen Inseln.

Für 80 von 100 Touristen, die sich mit dem Flug-Taxi an ihren Ferienort befördern ließen, war es der erste Flug ihres Lebens. Sie machten ihn zu ihrem Vergnügen und um die Ferien zu verlängern. Einen Tag brauchten sie sonst, um etwa von Köln nach Borkum zu kommen: vier Stunden Bahnfahrt, drei Stunden Fähre, Wartezeiten nicht eingerechnet. Das Flugtaxi schafft es in 105 Minuten. Und es ist ein Vergnügen — wenn auch nicht das billigste: 210 Mark hin und zurück. Die Entfernungen sind kleiner geworden. In ihrem Prospekt preist die „Deutsche Taxiflug-GmbH": „Es -lohnt sich schon, ein Wochenende auf einer der Inseln zu verbringen, um neue Kräfte für die Hetze des Alltags in der Großstadt zu schöpfen. Unsere modernen Flugzeuge bringen Sie schnell, sicher und ausgeruht an Ihr Ziel." Dennoch sind die häufigsten Gäste dieser Gesellschaften nicht die Touristen, sondern Geschäftsleute, bei denen Zeit Geld ist. „Da flog ich vor kurzem einen Manager aus Madrid", erzählt unser Pilot, „der meinte, billiger wäre es zwar mit dem Linien Flugdienst gewesen — aber nach deren Zeiten kann ich mich nicht richten." Er bezahlte 255 Mark für die Flugstunde. Die Rechnung ginge für ihn trotzdem auf; er war vom Flugplan der Großen unabhängig und hatte Zeit gespart.

Nicht jeder kann es sich zwar leisten, auf so kostspielige Weise Wartezeiten aufzukaufen, aber im Inlandverkehr macht sich das Lufttaxi bereits für viele bezahlt: Manager, Industrieberater, Aufsichtsräte. Bisher konnte man oft schneller von Tunis nach Köln gelangen als von Köln nach Goslar. Jetzt telephoniert man einer der Taxifluggesellschaften und sagt: „Vier unserer Herren, die mit der XYZ aus Tunis kommen, brauchen sofort einen Anschluß nach Goslar."

120 kleine Flugplätze

Das einzige Hindernis, sich an jedem beliebigen Ort ein Flugzeug zu bestellen und an jeden beliebigen Ort zu wollen, ist bisher nur der Mangel an Ländeplätzen. „Wild in der Gegend herumfliegen können wir nicht", meinte unser Pilot, „wir sind immer noch auf Flugplätze angewiesen." Dabei reicht für die DO 27 eine Startbahn von 250 Metern Länge; eine Grasnarbe genügt. Die zweimotorige „Twin Bonanza", bevorzugtes Beförderungsmittel für Vielbeschäftigte, braucht mindestens 500 Meter, Bis jetzt gibt es in der Bundesrepublik ungefähr 120 Flugplätze, die für den Nah-Luftverkehr brauchbar sind. Es wird Aufgabe der Städte sein, weitere Landemöglichkeiten einzurichten. Im vergangenen Jahr stellte das Land Nordrhein-Westfalen zum erstenmal Zuschüsse von 500 000 Mark dafür bereit.

Der Rückflug von Borkum verzögerte sich etwas. Der Pilot stärkte sich noch in der Kaffeewirtschaft. Ohne Pause hatte er an diesem Tag Passagiere aus dem Rheinland auf die Nordseeinseln geflogen. Um 18 Uhr kletterten die zwei Passagiere in die Maschine und schnallten sich an, weil es die Vorschrift so verlangt. Die Abendsonne schien auf das gläserne Dach der DO 27, als sie in 600 Meter Höhe die Nordsee überflog.

Auf dem Flughafen Wahn traf ich Odilo Hahn Häuser. Er hat ein Ein-Mann-Unternehmen. Mit einer „Piper Stmson" macht er Rundflüge über Köln,, „Keuchhusten"- und Reklameflüge und gelegentlich auch Charterflüge. Auch er meinte: „Das größte Handicap des Nahluftverkehrs ist das Wetter." Und er erzählt etwas resigniert: „Als damals der Eisenhower hier war, da hätten mir die Journalisten jeden Preis bezahlt, wenn ich sie zu ihren Anschlußflugzeugen nach London oder Paris gebracht hätte. Da wäre ich drei Tage beschäftigt gewesen. Aber das Wetter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht."

Was übrigens die „Keuchhustenflüge" angeht: Es gibt viele Ärzte, die Kindern, die an dieser Krankheit leiden, einen Flug über 3000 Meter Höhe verordnen. Der Pilot meint: „Vielleicht werden die Kinder schon durch das Vergnügen gesund . . ."

DIE ZEIT, 1960

41/1960